Dumm und dreist: eine Überschrift für den Stammtisch

Man kommt mit einem blauen Auge davon, sagt das Sprichwort und meint, es hätte alles schlimmer ausgehen können. Ein heute 68 Jahre alter Mann erhielt für den Missbrauch von Mädchen drei Jahre Haft.

Zu seinen Gunsten sprach, dass er sofort Schmerzensgeld gezahlt und sämtliche Vorwürfe eingeräumt hatte. Unser Rechtssystem ist flexibel genug, das Verhalten des Angeklagten nach der Tat entsprechend zu werten. Aus seinem Verhalten spricht Scham und Unfassbarkeit, wie und warum er solcher Taten fähig war.

Wenn nun der Journalist/Redakteur der PNP titelt: „Er kam davon“, wertet er einen Fakt, und er lässt anklingen, dass er die Strafe für zu gering hält. Das ist Munition für den Stammtisch. Die Überschrift ist bauchlastig und Gefühlsjournalismus.

Nachtrag

Missbrauch von Kindern ist eine grauenhafte Tat. Sie echot ein Leben lang, wenn sie nicht aufgearbeitet werden kann oder die Kinder sehr robust sind und das Vergehen einzuordnen wissen bzw. lernen. Es gibt keine Strafe, die der Tat angemessen wäre. Die gibt es aber auch sonst nie.

Strafe und Strafbemessung sind mehr oder weniger willkürliche Größen. Sie reichen von Verweis bis zur Hinrichtung. Darin ähneln sie den Steuersätzen: Wer einen Cent über dem jeweiligen Satz liegt, wird stärker belastet.

Genau deshalb gibt es Spielräume bei der Strafzumessung. Und wir sollten froh sein über diese Gelassenheit, die unserem Rechtssystem eignet. Manch einer wird sogar dankbar sein, wenn er selbst in die Mühlen eines Verfahrens gerät und erkennt, dass seine Persönlichkeit das Strafmaß beeinflusst.

Nur für manche Medien gilt das nicht. Jene Steigbügelhalter von Stammtischmeinungen und von Volkes Stimme mischen sich ein und empören sich stellvertretend: Nicht legitimierte Stellvertreter aber handeln anmaßend und haben in einer Zeitung nichts verloren.

Nachtrag II

Hätte sich der Journalist die Mühe gemacht, nachzuschauen, was das Gesetz hergibt, hätte er vielleicht darauf verzichtet, von einem Davonkommen zu sprechen. Ich zitiere die Seite anwalt.org:

Sexueller Missbrauch von Kindern
In § 176 Absatz 1 StGB ist sexueller Kindesmissbrauch unter Strafe gestellt. Wer sexuelle Handlungen an einer Personen unter 14 Jahren vornimmt beziehungsweise an sich vornehmen lässt, dem droht eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.

Drei Jahre Haft – wirklich „davongekommen“?

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