Lektorat: ja oder nein. Ein Pamphlet

Hans Peter Roentgen, HPR, benennt in einem Facebook-Beitrag die strukturellen Probleme eines Manuskripts als oft ursächliches Hindernis für den Erfolg. Da hat er recht, und mit dieser Nadelspitze müssten wir Lektoren den Autoren ins Fleisch pieksen. Immer und immer wieder.

Schreibfehler sind wie ausgerutschtes Mascara – strukturelle Schwächen indes gleichen einem entstellten Gesicht. Das eine lässt sich am Spiegel korrigieren, fürs andere muss der Operateur Messer wetzen und Laser anwerfen.

Ich habe gerne und so manches Mal auf die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung bei Autoren hingewiesen. Tut mir leid, das zu sagen, is’ aber so: Die wenigsten Manuskriptschreiber können es wirklich, schreiben. Trotzdem gibt es Bücher, die erfolgreich verkauft werden, obwohl sie Schund sind, schlecht geschrieben, schlecht konzipiert, schlecht entwickelt.

Missverständnis

Ein Diskussionsteilnehmer schreibt: „Auch ich finde ein Lektorat grundsätzlich wichtig. Aber es ist keine Grundvoraussetzung für ein gutes Buch und für Erfolg.“

Hat das denn jemand behauptet? Nö. Falls doch, ist es mir entgangen, und ich würde es zurückweisen. Sein Satz zeigt, wie weit voneinander entfernt Lektoren und Autoren sind.* Wenn ein Autor glaubt, recht zu haben mit der Formulierung, „… sind keine Grundvoraussetzung für ein gutes Buch …“, dann pfeift er im dunklen Wald und hofft.

1.) Ich kenne keinen Unterschied zwischen Grundvoraussetzung und Voraussetzung – sollte einer existieren, müsste mir ein Autor begründen, warum ihm „Voraussetzung“ nicht ausreicht und er noch einen „Grund“ anpappt. [Ähnliches gilt für Wörter wie „Pflegeprozess“, „Reparaturarbeit“; die Pflege ist ein Prozess, die Reparatur ist bereits Arbeit.] Mit solch sicherlich nachvollziehbaren und entschuldbaren Formulierungen zeigt ein Manuskriptersteller eines: dass er sich und sein Werk wichtiger nimmt als jene, die es erreichen soll, seine Leser. Wenn ich möchte, dass ich gelesen werde, habe ich die Pflicht, alles zu geben, damit der Leser nicht gequält wird. Und ich quäle ihn, den Leser, wenn ich geschwätzig bin ohne Not, wenn ich Wörter verlängere ohne Not. Lesen nimmt dem Leser Lebenszeit – da muss ich als Autor schon verdammt gut sein, um zu rechtfertigen, dass ich das darf: ihm Lebenszeit stehlen.

Es mangelt den meisten Manuskriptfüllern an Kenntnis psychologischer Zusammenhänge, an Selbstkritik, an simplem Können. Die Lektüre ungezählter „Blick-ins-Buch-Seiten“ zeigt mir, dass sie, to mention an example, nicht einmal um die Möglichkeiten unterschiedlicher Satzstellungen wissen, und drauflos schreiben, wie’s ihnen in den Sinn kommt, statt der Wirkung von Wörtern in anderer Reihung nachzuhorchen. Ihnen fehlt es, on top of it, an Demut.

Was einem mangelt, gleicht auch die Rechtschreibkorrektur nicht aus. Hier hilft nur der Blick von außen. Der Operateur.

Kein Mensch hat etwas gegen schlecht geschriebene Bücher. Es sollten aber die Manuskriptersteller nicht so tun, als läge der ausbleibende Erfolg an allen anderen, nur nicht an ihnen selbst und ihrem, horribile dictu: Unvermögen.

Nachtrag

In einer früheren Version stand an jener Stelle, die ich mit * gekennzeichnet habe: „Aber genau diese Aussage zeigt doch, wie weit voneinander entfernt Lektoren und Autoren voneinander entfernt sind.“ Mir war das doppelte „entfernt“ nicht aufgefallen.

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