Lektorat für Agenturen

Was den Lektor bewegt. Wie der Lektor arbeiten sollte

LektoratWenn ich es drauf anlegte, ich könnte Kämpfe führen an jeder Front. But I don’t like to. Ich kann ums Verrücktwerden dem Spruch keinen Sinn abknöpfen, jenem Spruch, in welchem es heißt:

Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.

Nun mag ich ja damit völlig falsch liegen, sozusagen aus der Zeit gefallen sein. Wenn ich mir anschaue, wie Menschen sich tunen, sich abrackern, kämpfen, um fit zu sein für irgendeine postulierte, doch selten hinterfragte bessere Version ihrer selbst, dann spüre ich Aversionen gegen solcherart Fitnesstraining. Da bin ich eigen, dagegen hege ich eine deftige Abneigung.

Keine Bange, ich komme aufs Thema. Aber es dauert noch ein bisschen

Heerscharen von Coaches leben von der Suche nach menschlichen Eigenschaften, die als Mangel erlebt werden können oder sich als Mangel verkaufen ließen. Nehmen wir beispielsweise die Eigenschaft »erwachsen werden«. Ein wunderbares Wort, ein erstrebenswerter Zustand (ist er das wirklich?) – doch sagenhaft leer in seiner Bedeutung. Wie auch immer.

Die Coaches nun reden dir diesen Mangel an die Backe. Kein Problem für sie, denn welcher Mensch ist schon perfekt? Sie powerpointen deinen »Defekt«, den du selbst natürlich auch spürst, denn du bist ja kein Holzklotz oder ein Gefühlskastrat. Sie schreiben ein Buch und füllen die Regale, sie veranstalten Seminare und breiten sich auf YouTube aus. Und schon steckst du in ihrem Netz wie der Delphin und wirst unter Wasser gezogen, wo du letzten Endes qualvoll sterben wirst, weil du keine Luft mehr bekommst vor lauter eingebildetem und behauptetem Mangel an Sauerstoff, an Lebensstoff, vor lauter befürchteter Unzulänglichkeit deiner Person, deines So-Seins. Doch es gibt eine Lösung: den Coach, der es, manisch erregt dank eines vibrierenden Selbstverständnisses, mit Johann Wolfgang von Goethe hält: »Ich bin der Eimer, den das Schicksal in den Brunnen wirft, um euch herauszuziehen.«

Auftauchen! Zeit zum Luftholen

Ich muss präziser formulieren: In den Augen der Coaches gibt es nur eine Lösung! Sie lautet: »Du musst dem Coach folgen, der Coachin, dem Fischer und dem Netzauswerfer.« Du bist, und das weißt du mittlerweile, von Grund auf schlechter als jene, die dich darauf aufmerksam gemacht und zugleich die Lösung angeteasert haben. Anteasern? Anteasern: Sie, die Coaches, die Netzauswerfer und die Fischer, diejenigen also, die Jesus sicherlich nicht gemeint hat, als er vom Menschenfischer gesprochen hat, sie zeigen dir gerade so viel, dass du irritiert, aber überzeugt bist: Wenn du ihnen folgst, gehst du ein ins Paradies.

Das Dumme: Ihre Fähigkeit, dich schick zu machen fürs Paradies, reicht ganz oft nur dazu, dir die Kleider vom Leib zu reißen, sodass du nackt bist und in deiner Nacktheit beginnst zu frieren. Dir fröstelt, denn jetzt sind es mindestens zwei, die von deinem Mangel wissen: du selbst und dieser Coach. Formulierst du Einwände gegen dieses Zerren, gegen dieses »Runter mit den Klamotten!«? Natürlich nicht, denn es gehört sich ja für den Einzug ins Paradies, nackt zu sein. Ach ja!

Wenn du einen Moment innehalten kannst, schüttelst du vielleicht den Kopf: Als ob es dem Herrn um die Kleiderordnung ginge! Doch bevor du diesen Einwand formulierst, liefern dir die Besserwisser noch ein wenig Parfum. Sie nennen es Spiritualität. Sie sprechen von »Begleitung«, von Hilfe bei der »Sinnsuche«, von »erwachsenem Verhalten«, und sie verkennen fast alles. Sie sind mit sich im reinen, weil sie kraft Ausbildung, Mission und Hilflosigkeit nur die Brühe sehen, in denen die anderen schwimmen. »Das muss«, sagt der Coach, »noch geklärt werden.«

Spiritualität ist zu zart für den Coach

Erstens. Spiritualität ist ein Bedürfnis aus sich heraus. Sie wird nicht von außen geweckt und auch nicht im Außen. Sie entsteht in dir. Ihre DNA steckt in jedem von uns.
Zweitens. Es ist ein illegitimer Übergriff, anderen eine Schwäche anzudichten. Dieses »Andichten« ist Anmaßung.
Drittens. Wer »andichtet«, urteilt über den anderen. Mit welchem Recht?
Viertens. Wenn du Hilfe brauchst, suche sie nicht bei anderen. Das wird nur teuer. Genauer: Möglicherweise bezahlst du zu viel dafür. Du weißt nie, was du dafür hergeben musst.

Was hat das alles mit dem Lektor zu tun?

Ingmar Bergmann sagt über die Behandlung von Schauspielern, man solle als Regisseur den Mund halten können und den Schauspielern zuhören. Das dauernde Einreden auf den Schauspieler macht ihn unsicher und schwächt seine Kreativität. (Zitiert nach E. A. Rauter, »Vom Umgang mit Wörtern«.)

Ich muss als Lektor den Mund halten können und dem Autor zuhören (um das naheliegende, aber saublöde Wortspiel »zulesen« zu vermeiden). Ich bin vielleicht der Besserwissende – hoffentlich aber bin ich es nicht, denn ich will mit meinem Autor, mit meiner Autorin ein Stück des Weges gehen und von ihr, von ihm lernen.

Wenn ich lektoriere, lerne ich über mich. Wenn ich den Autor lasse, wie er ist, wenn ich an seinem Manuskript nicht herumziehe und ihm Mängel andichte, tue ich das beste, was der Autor verdient hat – denn er hat seine Zeit bereits mit dem Manuskript verbracht. Seine Zeit. Nun erst komme ich ins Spiel, der Lektor.

Der Lektor kommt nicht etwa deshalb ins Spiel, weil er dem Manuskript einen Mangel angedichtet hat, sondern weil sich die Liebe einen Weg ins Leben bahnt: die Liebe des Autors zu seinem Manuskript. Manchmal ist der Lektor der erste Mensch, dem der Autor und sein Manuskript begegnen. Und so kann die Antwort des Lektors nur Liebe sein. Auch wenn sich das merkwürdig anhören mag.

Was der Lektor nicht ist, was ich nicht bin: Reparateur von (Be-)Dürftigkeit.

Mehr dazu: So sind wir nicht.

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