So arbeite ich, der Lektor

Ein leichter Südwind strich durch die morgendliche schwüle Luft, jagte grauweiße Wolken über den strahlend blauen Himmel und milderte die zunehmende Hitze, als Cowart den Parkplatz überquerte.

John Katzenbach „Der Sumpf“
Mit diesen Worten beginnt Kapitel 6, „Das Regenrohr“, aus dem Psychothriller „Der Sumpf“ von John Katzenbach.

Der im Bundesstaat Massachusetts (USA) lebende Katzenbach, Jahrgang 1950, war Gerichtsreporter für den Miami Herald und die Miami News, bevor er mit dem Schreiben begann. Dreizehn auf deutsch erschienene Kriminalromane listet Wikipedia auf, zweimal war Katzenbach für den Edgar Award nominiert, der von der Mystery Writers America verliehen wird.

Ich glaube, der Satz ist schlecht übersetzt; ich könnte mir vorstellen, dass er im Original anders lautet.

Ungünstiger Satzaufbau
„… als Cowart den Parkplatz überquerte“ ist eine alltägliche Handlung; sie klingt nach einer entspannten Situation: ein Mann auf dem Weg zu seinem Auto. Doch die 22 Wörter, die dieser beiläufigen Aktion vorausgehen, haben etwas anderes im Sinn gehabt. Hier deutet der Schriftsteller eine Spannung an, die er mit Cowarts Gang fallen lässt – aus dramaturgischer Sicht eine verschenkte Chance. Katzenbach baut Spannung auf und verwirft sie. Es gibt nur eine Lösung, der Satz muss umgebaut werden:

Als Cowart den Parkplatz überquerte, strich ein leichter Südwind durch die morgendliche schwüle Luft, der grauweiße Wolken über den strahlend blauen Himmel jagte und die zunehmende Hitze milderte.

Auch hier wird die Spannung zwar durch das letzte Wort herausgenommen (milderte), sie schwingt aber immer noch in der Szene, und Katzenbach könnte darauf aufbauen.

Nachlässiger, widersprüchlicher Einsatz von Adjektiven
Sämtliche Anleitungen für besseres Schreiben warnen vor dem Gebrauch von Adjektiven; auch ich werde in meinem Ratgeber darauf eingehen. Wegen dieser Warnung ist im Laufe der Zeit der Eindruck entstanden, Adjektive seien generell schlecht. Natürlich ist dem nicht so – doch wenn man die Literatur aufmerksam liest, stößt man immer wieder auf ärgerliche Auswüchse, so wie in diesem Satz.

Was, bitte schön, ist eine „morgendliche Luft“? Was soll ich mir als Leser darunter vorstellen, was damit assoziieren? Wir kennen vier Jahreszeiten, wir kennen unterschiedliche Witterung, wir wissen um geographische Besonderheiten: Die Morgenluft in der Sahara, könnte ich mir vorstellen, hat wenig gemein mit der des Ruhrgebiets.

Nun schreibt Katzenbach von morgendlicher und schwüler Luft! Wie das? Wenn morgendlich eine Zeitangabe ersetzen soll, dann ist der Autor die Sache falsch angegangen, denn mit „morgendlich“ weckt er bei mir (und ich vermute, bei den meisten Lesern ebenfalls) eine Vorstellung, er lässt ein Bild entstehen, zumal er das Adjektiv dem Substantiv „Luft“ beiordnet: Bei morgendlicher Luft denke ich, dass der Autor mir die Frische des noch jungen Tages nahebringen will.

Doch dann fällt mir beim zweiten Lesen auf, dass zwischen „morgendliche“ und „schwüle“ kein Komma steht. Das kann nur heißen: Die Luft war bereits am Morgen schwül, sie ist nicht „morgendlich“ (schon gar nicht „frisch“), sondern sie ist schwül. Einfach so. Die Luft am Morgen war schwül. Und genauso hätte Katzenbach das schreiben sollen.

„Als Cowart am Morgen zum Auto ging, lastete bereits schwüle Luft über dem Parkplatz.“ Das Wörtchen „bereits“ gefällt mir selbst nicht sonderlich gut, es würde wohl bei der Überarbeitung gestrichen werden.

Nachlässiger Einsatz 2

„Ein leichter Südwind strich …“ Das ist stimmige Atmosphäre, die unmittelbar darauf zerstört wird: Ein „leichter Südwind“ jagt keine Wolken! Schwüle Luft, leichter Südwind, strahlend blauer Himmel, zunehmende Hitze – wo findet hier das Jagen seinen Platz?

„Als Cowart am Morgen zum Auto ging, lastete bereits schwüle Luft über dem Parkplatz. Ein leichter Südwind schob träge ein paar grauweiße Wolken über den strahlend blauen Himmel und milderte die zunehmende Hitze.“ Auch hier: Das Adverb „träge“ gefällt mir im Grunde recht gut, trotzdem würde es in der Überarbeitung wohl wegfallen.

Und schließlich habe ich was gegen die Kombination von strahlend blauem Himmel und den grauweißen Wolken.

Katzenbach hat’s geschrieben, im Lektorat ist es unbemerkt geblieben, in der Übersetzung (mein Verdacht) wurde es ignoriert. Schade.

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