Keine Frage: Das kann verunsichern! Wenn das Manuskript aus dem Lektorat zurückkehrt, ist es mit Anmerkungen und Korrekturen übersät.
Bin ich wirklich soo schlecht?, fragt sich der Autor. Hat er sie noch alle, der Lektor?, fragt sich die Autorin und befürchtet, ihr Text sei mangelhaft.
Und nun?
Schon möglich, dass er das ist, der Text: mangelhaft – viel eher aber zeugt das rote Manuskript vom Engagement des Lektors. Er hat sich dem Werk intensiv gewidmet und Verbesserungspotenzial aufgedeckt.
Schauen wir, wie sich einer der ganz Großen der Literaturgeschichte gefühlt hat, als sein Manuskript aus dem Lektorat zurückkehrte an den heimischen Schreibtisch.
Manuskriptüberarbeitung ist Kernprozess, keine Schwäche
Sol Stein beschreibt in seinem Buch »Aufzucht und Pflege eines Romans« die Situation mit der ersten Überarbeitung eines Manuskripts. Stein schreibt:
»Manchmal ärgern sich talentierte und kluge Autoren, die sich auf die Figuren und den Plot ihres Romans konzentrieren, wenn sie sehen, wie penibel ihr Lektor jede sprachliche Ungenauigkeit aufspürt.«
Und er liefert ein Beispiel aus der eigenen Werkstatt, er zitiert Elia Kazan, der seine Bücher von Stein lektorieren ließ:
»Alles, was ich über das Nachbearbeiten eines Films gelernt hatte, half mir nicht weiter, als es ans Überarbeiten meines ersten Buches ging. Stein erbarmte sich meiner; ihm blieb gar nichts anderes übrig. Erst fragte er, dann machte er Vorschläge, die er später beharrlich verteidigte, und schließlich fegte er hemmungslos (fand ich jedenfalls) ganze Brocken aus meinem Buch heraus … Es schien ihm besonderen Spaß zu machen, Passagen mit roter Tinte einzukreisen und sie, indem er die rote Linie fortsetzte, an eine andere Stelle im Text zu transferieren. Mein Manuskript sah aus, als hätte eine Bombe darin eingeschlagen: bis zur Unkenntlichkeit mit Strichen, Schnörkeln, Pfeilen, Kreisen und Bögen verschandelt.«*
Als hätte eine Bombe eingeschlagen … Kazan war erschüttert. Er, der dreimal mit einem Oscar prämierte Regisseur, der Schriftsteller von Weltrang, muss sich vorgekommen sein wie ein Schulbub. Die roten Korrekturen sind also kein Zeichen von Versagen, sondern Ausdruck einer Arbeit am Text, die ihn präziser macht und zugleich transparenter, die sich bemüht, die Absicht des Autors herauszuarbeiten, die letztlich der Qualität dient. Nicht, damit der Autor glücklich wird, sondern der Leser.
Lektoratsanmerkungen sind Hinweise auf Optimierung
Im Gegensatz also zu den roten Notizen aus den Schulheften markieren Lektoratsanmerkungen keine Fehler im klassischen Sinne, sondern Hinweise, die der Verbesserung des Textes dienen. Jeder Kommentar will
- Klarheit schaffen
- Wiederholungen vermeiden
- und Stil sowie Verständlichkeit optimieren.
Der Lektor deckt Schwachstellen auf und bietet Lösungen an, Alternativen.
Der Autor profitiert davon am meisten, wenn er den Kommentaren mit einer offenen Haltung begegnet.
Fazit
- Ein Manuskript mit zahlreichen Korrekturen zeigt, dass der Text ernst genommen und systematisch verbessert wird.
- Die Anmerkungen des Lektors sind Wegweiser auf dem Weg zu einem besseren Manuskript.
- Offenheit gegenüber dem Feedback ist die Basis, um das Potenzial des Textes voll auszuschöpfen und ein überzeugendes Buch zu veröffentlichen.
Fotocredits
»Denk dran!« – Ein Notizzettel, der darauf wartet, befüllt zu werden. Vielleicht mit Anmerkungen aus dem Lektorat? Mir gefällt diese Assoziation von Olga Thelavart, die das Foto geschossen hat und auf Unsplash kostenlos zur Verfügung stellt.
Herzlichen Dank, Olga!
* zitiert nach Sol Stein aus Elia Kazan: A Biography