Das Lektorat. Plädoyer für bessere Qualität

Die Frage, wann ein Lektorat „gut“ ist, zielt am Problem vorbei, denn: Ein Lektorat ist notwendig. Immer!

Natürlich ist ein Lektorat nicht immer nur „gut“ – in welchem Sinne auch immer dieses „gut“ gedacht ist; vielleicht einigen wir uns auf das Wort gelungen. Also: Wann ist ein Lektorat gelungen?

Ob nun gut oder gelungen, die Prämisse bleibt: Lektorat ist notwendig. Immer!

Das Problem: Es gibt ganz miese Lektoren; und die anderen können in ihrer Arbeit stets nur so viel erreichen, wie es der Autor zulässt. Hier trifft Psychologie auf Können. Eine unselige Allianz, wenn Können überlagert ist von Wollen.

Ein Vergleich zum Musikunterricht macht deutlich, was ich meine: Klavierunterricht kostet Geld, unabhängig davon, ob der Klavierlehrer was taugt oder nicht, und unabhängig davon, wie talentiert die Schüler sind. Niemand käme auf die Idee, daran zu rütteln, ganz zu schweigen von dem Gedanken, der stümpernde Flohwalzer-Vortrag der Eleven sei dem Musiklehrer anzulasten. (Mit Ausnahme jener Eltern vielleicht, die in ihrem Sprössling den kommenden Johann-Joanne von Amadeus Hawking-Obama-Thunberg sehen.)

An einem Lektorat kommst du nicht vorbei, wenn du als Autor „Musik“ machen willst mit deinen Texten.

Qualitätsmanagement. Das Korrektorat

Ohne Korrektorat wird unmittelbar offensichtlich, wenn ein Autor geschludert hat und Sorgfalt vermissen ließ. Mangelhaft korrigierte Texte spiegeln zurück auf ihren Inhalt: In aller Regel will ich Texte mit schlechter Orthografie und Grammatik nicht lesen.

Hier können Autoren sehr viel selbst tun für einen guten Eindruck ihrer Werke. Mit Duden et al. existieren halbwegs verlässliche und zuständige Instanzen in Sachen Punkt und Komma und Strich und Satzbau. Es gibt Apps und Tools, die auf Schwächen oder gar Fehler hinweisen, zur Verfügung steht die weit verstreute (und qualitativ weit streuende) Kompetenz von Testlesern, der Kommilitonin, des Deutschpädagogen, einer Facebook-Gruppe.

Dass Texte korrigiert werden müssen, wird nie angezweifelt. Nie.

Ängstlichkeit, als Sensibilität getarnt – Angst vor der Wahrheit?

Warum also die Aversion gegen’s Lektorat? Vielleicht weil es, anders als beim Korrektorat, nicht um Quasi-Fakten geht, sondern um eine Form von vager „Gefühligkeit“?

Mein leiser Verdacht: Viele Autoren sind ängstlich und fürchten, was sie längst ahnen, nämlich das nicht überschwenglich tönende Urteil des Lektors.

Meine Erfahrung: Sie, die Autoren, stehen nicht wirklich hinter ihren Texten (und damit auch nicht hinter dem, was sie tun). Zwei denkbare Haltungen:

Die Übersprungshandlung. „Mein Text ist perfekt“, sagt der Autor. „Ich, der Autor, benötige von dir, dem Lektor, nur eine Bestätigung der Perfektion und das Gütesiegel fürs Impressum.“ Oder:

Die Konfrontation. „Du, Lektor, wirst nicht erfassen können die Tiefe der Psychologie, den relevanten Gehalt, die emotionale Dichte und Fülle, die Farbigkeit, die Spannung meines Manuskripts.“

Und nun kommt die Reaktion: Statt das Lektorat als Chance zu begreifen, aus der Vorlage das Maximum herauszuholen, verharren diese Autoren in ihrer Haltung.

Statt sich neugierig zu nähern, statt andere Sichtweisen zu erkunden, statt sie zuzulassen, summa: statt nicht bloß im Manuskript dem Abenteuer entgegenzufiebern, sondern auch im wahren Leben – und sei es nur in der Auseinandersetzung mit einem Lektor –, bleiben sie, was sie sind.

Sie schreiben vom Aufbruch zum Mond und verharren auf einem Objektträger. Sie schreiben Sex und verkümmern auf YouPorn. Sie fummeln mit Adjektiven und ignorieren die Dürre.

Ein guter Lektor erkennt die Absichten oder er recherchiert sie und fragt beim Autor nach. „Wohin möchtest du mit deinem Buch, mit deinem Text, mit deiner Geschichte? Was ist deine Absicht?“

Es ist eines der großen Mysterien des Schreibens, dass die wenigsten Autoren eine Antwort auf diese Frage wissen.

Was ließe sich tun? Tipps für Autoren

  • Beginne die Zusammenarbeit aufrichtig. Wenn Geld eine Rolle spielt, spiele nicht mit dem Lektor, sondern sage ihm, was du bezahlen kannst. Der Lektor wird dir sagen, was er dafür leisten wird.
  • Denke nicht in „Perfekt“. Auch nach einem Lektorat ist dein Manuskript kein Koh-i-Noor. Aber es ist zumindest geschliffen.
  • Du schreibst? Dann konjugiere: „Ich schreibe, ich schrieb, ich habe geschrieben.“ Viel wichtiger aber ist: „Ich werde schreiben!“ Wenn du es ernst meinst, wirst du sein voll Selbstzweifel und ringen um Wachstum. Auf Deutsch: Schreiben ist ein Prozess – nicht nur in puncto Entwicklung einer Story, sondern, viel wichtiger, in puncto deiner persönlichen Entwicklung.
  • Wenn du schreibst, schaust du dir Tag für Tag ins Angesicht; dein Gesicht spiegelt sich Tag für Tag im Monitor deines Computers. Welches Gesicht soll dich in fünf, in zehn Jahren anschauen?

Nachtrag: Lektorat – eine ziemlich spannende Reise

Klassiker sind deshalb Klassiker, weil sie ein grundsätzliches Anliegen erzählen. Wie das geschieht, ist von Autor zu Autor verschieden: Krieg und Frieden; Vom Winde verweht; Die Blechtrommel … Wenn dir heute noch gefällt, wie diese Autoren geschrieben haben, so ist das deine persönliche Vorliebe, und vielleicht hast du noch nicht die richtigen Gegenwartsbücher entdeckt, die diesen Monumenten nahekommen. Ich kann nur sagen, und wieder weiche ich auf die Musik aus: Heute wird auch nicht mehr in der Sonatenhauptsatzform des 19. Jahrhunderts komponiert – aber noch immer befruchtet sie Aufbau und Ablauf von Kompositionen.

Hebamme, Geburtshelfer, Mentor: dein Lektor

Was für die Musik gilt, gilt auch für das geschriebene Wort, solange es nicht Lyrik ist oder irgendwie sonst kontur- und formlos: Es schöpft aus der Vergangenheit und erzählt im Duktus unserer Zeit. Oft sehr rasch und oft sehr komprimiert. Das gilt besonders für den Spannungsroman. 

Wenn dir als Leser die breitfließende Erzählweise eher behagt, dann ist das so (Donna Tartt ist mit ihrem „Distelfink“ so ein Buch gelungen). Und es ist in Ordnung. Wenn du selbst schreibst und bei deinen Lesern ähnliche Gefühle hervorrufen willst, dann musst du so schreiben.

Wenn du aber jemanden packen willst und in den Sessel zwingen, dann musst du Benzin tanken mit hoher Oktanzahl und den Nürburgring für die Fahrt absperren lassen, denn nun betrittst du die Strecke, und dann gibt es kein Halten mehr.

Und das ist es, wobei dir dein Lektor helfen kann, denn er ist manchmal der erste, der dein Werk zu Gesicht bekommt: „You never get a second chance to make a first impression!“ Für einen ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance.

Ein Lektor wird dir helfen, deine Absichten in die Welt zu setzen. Er ist Geburtshelfer, Hebamme, Mentor. Musiklehrer. Tankwart an der Rennstrecke. Und er hat nur ein Ziel, genau wie du: dass das Kind, das du geschaffen hast, das beste der Welt sein soll.

Vertrau ihm. Dann wird das Lektorat auch gut. Dann ist es gelungen.

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