Subjekt oder Objekt? So baust du dem Leser Brücken zum rascheren und dadurch besseren Verstehen deines Textes

Leser ärgern – ein feiner Sport

Die Stille durchschneiden nur die traurigen Töne einer Ziehharmonika und eine Frauenstimme, eine russische, wortlose Klageweise, die an trauernde Kriegswitwen erinnert. 

Diesen Satz findest du in einem Artikel der PNP-online. Er wirkt übersichtlich, er nutzt keine schwierigen Wörter, er könnte leicht verständlich sein, doch Teufel noch eins!, er ist es nicht.

Wenn du Glück hast, verstehst du ihn auf Anhieb; wahrscheinlicher aber ist, dass du beim ersten Lesen denkst: „Da stimmt was nicht.“

Dann schau’n wir mal.

Nie mit dem Akkusativobjekt starten

Die deutsche Sprache birgt Tücken, eine davon heißt: „Nominativ und Akkusativ eines Subjekts werden identisch geschrieben.“ Hauptwörter, nach denen du mit „Wer“ fragst (wer hat was getan) oder mit „Was“ (was ist gemeint), gleichen sich. „Wer“ = Nominativ, „Was“ = Akkusativ.

Das bedeutet: Du siehst einem Hauptwort nicht an, ob die handelnde Person gemeint ist oder die Sache. Dieses Hauptwort vor deinen Augen kann das Subjekt eines Satzes sein – genauso gut kann auch das Objekt gemeint sein.

Subjekt
Das Auto gehört Hans.

Objekt
Hans fährt das Auto.

Beide Male „das Auto“, und nur die Satzstellung zeigt, wer das Subjekt ist.

Warum ist es wichtig zu wissen, wer oder was das Subjekt ist? Weil das Subjekt verrät, wer etwas tut – im übertragenen Sinne: wer im Mittelpunkt steht. Das Objekt ist das, mit dem etwas geschieht – es „erleidet“. Zurück zum Zitat vom Anfang.

„Die Stille“ kann seiner Natur nach beides sein, Subjekt und Objekt. Was es ist, sehe ich dem Wort nicht an, das Wort braucht „Kontext“, braucht etwas, worauf es sich bezieht. Steht das Wort am Anfang des Satzes, denkt der Leser, er hätte das Subjekt des Satzes vor Augen, und er rechnet damit, etwas später auf ein Verb zu treffen, das ihm mitteilt, was dieses Subjekt macht.

Die Stille könnte dröhnen, sie könnte guttun, Angst einflößen, entspannen … Im zitierten Beispiel tut sie nichts von alledem, denn sie ist selbst Objekt, sie „erleidet“: Sie wird durchschnitten. Es heißt dort:

Die Stille durchschneiden nur die traurigen Töne einer Ziehharmonika und eine Frauenstimme …

… wo es doch, um sofort verständlich zu sein, heißen müsste:

Nur die traurigen Töne einer Ziehharmonika und eine Frauenstimme durchschneiden die Stille …

Genau das aber weiß der Leser zu Beginn nicht, er wird mindestens verunsichert, auf eine falsche Fährte gelockt, denn es ist widersinnig, mindestens aber irritierend, mit dem zu beginnen, mit dem etwas geschieht.

Die Sache mit dem Komma vor „und“

Duden* „erlaubt“ den Verzicht aufs Komma vor einem „und“, wenn dieses „und“ einen vollständigen Satz einleitet; und ich rate: Es ist besser, dieses Komma zu setzen.

Es ist deshalb besser, weil es dem Leser hilft zu verstehen, ob jetzt ein ganzer Satz folgt oder eine Aufzählung. Warum ist das wichtig?

Wenn eine Aufzählung folgt, weiß der Leser, dass jetzt kein Subjekt mehr auftaucht; es gibt keine neuen Akteure mehr, keine handelnden Personen oder Sachen – nur noch Objekte oder Verben oder Adjektive.

Wenn ein Subjekt aufs „und“ folgt, dasselbe oder ein neues, dann weiß er das wegen der Signalwirkung des Kommas, (sic!) und er ist gewappnet, informiert, auf der richtigen Spur.

Mehr kann man für seinen Leser nicht tun: ihn nicht in die Irre zu führen durch Nachlässigkeit.

Zusammengefasst: Ärgere nicht deine Leser

Wenn ich lese „die Stille durchschneiden“, stutze ich, denn ich rechne mit „die Stille durchschneidet“. Subjekt im Singular – Prädikat ebenfalls Singular.

Wenn ich lese „die Stille durchschneiden nur die traurigen Töne“, bin ich, der Leser, immer noch kein Stückchen weniger verwirrt. Es braucht mindestens zwanzig Silben, bevor ich halbwegs ahne, was gemeint sein könnte – und das alles trotz einfachster Wörter!

Zweitens.

Wenn ich lese „die traurigen Töne einer Ziehharmonika und eine Frauenstimme“, stutze ich, denn ich rechne nach dem Genitiv „einer Ziehharmonika“ mit einem zweiten Genitiv: „und einer Frauenstimme“.

Was war gemeint? Was beabsichtigt? Wie kann man’s besser machen?

Wenn ich die Wörter in eine leichter verständliche Abfolge bringe, lautet der Satz:

„Die traurigen Töne einer Ziehharmonika und eine Frauenstimme durchschneiden die Stille.“ Jetzt könnte der Relativsatz angeschlossen werden. Das wäre zwar ein wenig knifflig, aber lösbar. Mich stört aber noch etwas anderes: das Durchschneiden.

Töne einer Ziehharmonika, noch dazu „traurige Töne“, durchschneiden nicht; sie bereichern die Stille, sie intensivieren und verstärken sie. Sie füllen die Herzen, die Seele, das Gemüt – sie ergänzen das, was dank der Stille des Ortes und der Zeremonie sich auf die Anwesenden senkt.

Mehr zum Thema Akkusativobjekt

https://www.wortport.de/nominativ-und-akkusativ-rasch-mal-verwechselt/

https://www.wortport.de/akkusativ-vs-nominativ/

https://www.wortport.de/satzbau/

https://www.wortport.de/vom-richtigen-satzbau/

* Duden ist ein Wirtschaftsunternehmen. Von einem Wirtschaftsunternehmen möchte ich mir nicht vorschreiben lassen, wie ich zu denken oder zu schreiben habe.

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