So war das damals

Timewarp die I.

Wenn Karl-Heinz am Wochenende aus dem Internat zurückkehrte, hatte er so eben noch Zeit, sein Schnitzel herunterzuschlingen, dann stand ich schon vor seinem Elternhaus, ihn zu besuchen; ich ging ihm – wie ich mittlerweile glaube – hin und wieder ordentlich auf den Keks.

In unserem Dorf passierte unter der Woche nicht wirklich Weltbewegendes, Karl-Heinz schien mir da deutlich näher an den Dingen, die wichtig waren für uns 16, 17 Jahre alte Menschen im Aufbruch. Davon sollte er mir berichten, ich wollte den Duft der großen weiten Frankfurter Welt schnuppern. Der kam. Manchmal in Form von erlesenen Kräutern, meist aber in Form von nie zuvor gehörter Musik.

Timewarp die II.

Eines samstags legte Karl-Heinz eine Scheibe auf den Plattenteller, und alles riss auf. So stark, dass mir die Musik zunächst nur spröde und chaotisch vorkam, destruktiv. Ich habe schlichtweg nicht »verstanden«, nicht verstehen können, was da passierte, die Musik ging über meinen Horizont.

Meine Beschränktheit, mein Unverständnis, legte sich in den kommenden Wochen, aber nie habe ich wirklich aufdröseln können, was das »Mahavishnu Orchestra« um John McLaughlin und seine Begleiter im August 1971 in die Welt gesetzt hatte. Die Band »Mahavishnu Orchestra« veränderte so manches, als allererstes meinen Musikgeschmack.

Zeitsprung die III.

Ich weiß nicht, ob es hilfreich gewesen wäre, wenn mir jemand in dieser Phase die Musik des MO »erklärt« hätte; mir reichte, was der »Musikexpress« schrieb: »Selbst die Pausen des ›Mahavishnu Orchestra‹ klingen wie Fugenkitt zwischen Diamanten.«

Heute stöbere ich erinnerungsselig auf YouTube. Mein Gott, ist das bequem und fantastisch (und zugleich eigenartig und feudal und fettgesogen – wie langweilig, bei aller Begeisterung)!

Und hin und wieder begegnen mir solche Diamanten, wie sie der »Musikexpress« wohl gemeint haben mag. Der Kanal von Doug Helvering gehört dazu.

Doug Helvering: »Hey’all!«

Helvering, der Amerikaner aus New York, ist Komponist, Chorleiter, Musiklehrer – Klugheit und Witz beleben seine Videos. Unprätentiös, zugleich oft selbstironisch und mit einer manchmal überschäumenden Freude an dem, was er hört, analysiert er die Musik: Dinge, die ich vielleicht ahne, aber nie würde formulieren können – und das, obwohl ich Musik studiert habe. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Mein Tipp: bedingt anhören! Hey’all!

Geschrieben in Erinnerung an Josef Flörsch, Zwillingsbruder meines Vaters und mein Patenonkel († 2018).

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