Vor allem auch schlechter Stil

„Der Barankauf kommt vor allem auch bei älteren Leuten gut an“ lautet der Satz aus einer Annonce in der Passauer Woche. Es geht um den Barankauf von Zahngold und Goldschmuck. Mich stört der Passus „vor allem auch“, ich bezeichne ihn als Sägezahnkurve der Rhetorik – mal rauf, mal runter.

Vor allem drückt eine Besonderheit aus. „Vor allem Ritas Sopran berührte die Zuhörer.“ Hier ist klar: Rita hat sich hervorgetan mit ihrer Stimme, deren Klang war vielleicht besonders anmutig.

Wenn ich hingegen schreibe: „Auch Ritas Stimme berührte die Zuhörer“, gibt es mehrere Möglichkeiten:

  1. Liegt die Betonung auf dem Wort „Auch“ oder auf „Stimme“, weiß ich, dass schon etwas anderes die Zuhörer verzaubert hat: Ritas Augen, Ritas Wesen, ihr Dekolleté.
  2. Liegt die Betonung auf dem Wort „Ritas“, weiß ich: Verflixt noch eins, ums Haar hätte ich eine Sängerin vergessen zu nennen – im fraglichen Zusammenhang eine glatte Beleidigung!

Vor allem auch schlechter Schreibstil

Du siehst: Mit vor allem drücke ich ganz etwas anderes aus als mit auch. Das eine hebt hervor – das andere reiht ein.

Wie also soll, wie kann ich dann die Formulierung vor allem auch verstehen? Sie ist, mit Verlaub, Blödsinn, unfein im Stil, aufgeblähte Hülse, die nur eines zeigt: Wer so etwas schreibt, spürt nicht mehr, was er da schreibt. Er hat das Gehör verloren für den Ton seiner Worte.

Ich vermute, die Formulierung ist ein Bastard der Aussage vor allem aber – wie sie sinngemäß in Hoffmanns Struwwelpeter erklingt: „Doch vor allem, Konrad, hör, lutsche nicht am Daumen mehr!“ Hier erfährt vor allem eine Steigerung: Ich habe dich gewarnt, ich habe dir gesagt, was du tun sollst – das allerwichtigste jedoch, Konrad, kommt jetzt: kein Daumenlutschen mehr, okay?

Viel Spaß – und vor allem auch eine gute Zeit!

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