Angesichts der wachsenden Fähigkeiten von Künstlicher Intelligenz stellt sich die Frage nach dem Nutzen eines Lektorats aus Hirn und Hand eines Menschen.
»Warum soll ich«, fragt sich der Selfpublisher, »noch Geld für einen Lektor ausgeben? Reicht nicht ein KI-Tool wie ChatGPT?«
Die Antwort ist klar und dennoch differenziert.
Brauche ich als Selfpublisher überhaupt noch einen Lektor – trotz KI?
Eine KI kann dich bei der Textarbeit unterstützen. Sie erkennt Tippfehler, schlägt stilistische Alternativen vor und kann sogar Tonalitäten imitieren. Aber: Sie ist kein Mensch, sie liest also nicht mit Verstand. Sie fühlt keine Zwischentöne, sie kennt deinen Kontext nicht, und: Sie übernimmt keine Verantwortung.
Ein professioneller Lektor ist weit mehr als eine Rechtschreibkorrektur. Der Lektor prüft deinen Text mit klarem Blick und feinem Gehör; sie achtet auf Struktur, Stil, Figurenentwicklung, Leserführung, Authentizität. Und vor allem: auf Stimmigkeit.
Soll dein Text mehr sein als funktional, wenn sie anrühren soll und überzeugen, wenn sie charmant sein soll, dann versagt die KI. (Wir müssen uns heute, im Sommer 2025, keine Gedanken darüber machen, ab wann KI auch das kann, denn eines ist sicher: Der Tag wird kommen. Das aber wird dann eine andere Geschichte, und die bedingt andere Reaktionen.)
Was macht ein Lektor? Zwei anschauliche Beispiele
Lektorat ist nicht gleich Lektorat. Es gibt das stilistische, das inhaltliche und das strukturelle Lektorat; diese Vielfalt macht es für einen Lektor so reizvoll, sich deinem Manuskript zu widmen. Was genau du von deinem Lektor wünschst, besprichst du mit ihm persönlich.
Beispiel 1: Der Dialog, der nicht zündet
Eine Selfpublisherin schreibt einen Roman. In einer Szene streiten zwei Figuren. Formal ist alles korrekt, aber der Lektor merkt: Die Emotion wirkt künstlich. (Kleiner Tipp: Lies einmal, wie sogar ein Spitzenduo wie Klüpfel und Kobr es schafft, Mist zu produzieren.) Dein Lektor hinterfragt den Kontext, prüft, ob der Konflikt vorbereitet ist, und schlägt vor, die Szene umzustellen. Plötzlich entsteht ein authentischer, spannungsgeladener Moment.Beispiel 2: Der Sachbuchautor, der seine Leser verliert
Ein Autor veröffentlicht ein Ratgeberbuch. Seine Inhalte sind fundiert, aber zu abstrakt. Der Lektor erkennt, wo Beispiele fehlen, welche Fachbegriffe erklärt werden sollten und wo der rote Faden ausfranst. Durch gezielte Eingriffe wird der Text zugänglich und verständlich und gewinnt an Tiefe.
Fazit: Ein Lektor macht deinen Text nicht nur korrekt, sondern besser.
So macht’s der Lektor. Beispiel eins, der Dialog
Bisher war’s Theorie. Lassen wir zwei Beispiele folgen.
Beispiel 1: Roman. Der Dialog, der nicht zündet
Original (unlektoriert):
»Was soll das?«, schrie Marie.
»Was meinst du?«, sagte Paul.
»Du weißt genau, was ich meine. Gestern Abend – du warst nicht da!«
»Ich war bei Tom. Wir haben Fußball geschaut.«
»Du warst nicht bei Tom. Ich hab’s gesehen.«
»Ach ja? Und was willst du jetzt machen?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht nachdenken.«
Kommentar des Lektors:
Der Konflikt bleibt flach. Die Sätze sind generisch, austauschbar und verraten nichts über die Figuren oder ihre Beziehung. Spannung entsteht nicht aus Lautstärke, sondern aus innerer Reibung. Vorschlag: den Kontext stärker einflechten, die Szene(rie) ausleuchten, Reaktionen andeuten, den Sprachrhythmus individualisieren.
Lektorierte Version
Der Fernseher lief. Wie jeden Tag nach der Arbeit lag Paul auf dem Sofa und blätterte in einer Motorradzeitschrift. Marie faltete die saubere Wäsche.
»Was?« Paul blickte auf. Marie hatte was gesagt, aber er nur mit halbem Ohr zugehört.
»Ich habe gefragt: ›Wo warst du wirklich, Paul?‹« Die Frau, die er liebte, betrachtete eine seiner Unterhosen, Paul ließ die Zeitung sinken. War der Moment gekommen?
»Ich hab’s dir doch schon gesagt, Marie. Ich war bei Tom. Ehrlich.«
»Tom war bei uns im Supermarkt. Um halb neun.« Marie imitierte seinen Tonfall: »Ehrlich.«
Paul fuhr sich durch die Haare. »Ja und? Spielst du jetzt Detektivin?«
Marie stützte die Arme aufs Bügelbrett. »Ist das deine Antwort? Ich versuch einfach nur rauszufinden, warum du mich anlügst.«
Lüge, dieser vertraute Vorwurf. Paul gab sich Mühe, gelangweilt zu klingen. »Das hatten wir doch schon. Ich war bei Tom oder wo immer du willst. Ist doch egal, was ich sage.«
Jetzt sah sie ihn an. »Versuch’s trotzdem. Dieses eine Mal noch.«
»Sicher, dass du es hören willst?« Paul wetzte das Messer: »Marie?«
Wirkung
Die Dialoge gewinnen an Subtext, individuellem Tonfall und innerer Spannung. Die Figuren handeln nicht plakativ, sondern zeigen durch Andeutungen ihre Verletzlichkeit. Der Konflikt ist nun emotional nachvollziehbar, das macht ihn literarisch greifbar.
So macht’s der Lektor. Beispiel zwei, das Sachbuch
Beispiel 2: Sachbuch. Ein Text, der Leser verliert
Original (unlektoriert)
Wenn man seinen Text selbst lektorieren will, muss man auf Stil, Grammatik und Logik achten. Das kann man machen, indem man den Text laut liest oder eine Software benutzt. Wichtig ist, dass man Fehler findet und dass der Text rund ist. Oft hilft es auch, wenn man den Text eine Zeit lang liegen lässt. Man sollte außerdem auf einheitliche Begriffe achten, damit der Leser nicht verwirrt wird.
Kommentar des Lektors
Der Text enthält zutreffende Hinweise, bleibt jedoch unspezifisch, redundant und oberflächlich. Zudem: keine konkrete Handlungsempfehlung, kein adressierbarer Nutzen, keine anschaulichen Beispiele. Der Text wirkt wie ein Gedankenspeicher, nicht wie ein fundierter Ratgeber.
Lektorierte Version
Wer den eigenen Text lektoriert, braucht Abstand, Struktur und systematisches Vorgehen. Beginnen Sie mit einer Pause: Legen Sie das Manuskript für ein paar Tage beiseite. Mit dem Abstand schärfen Sie Ihren Blick für falsche Töne, vergessene Informationen, sachliche Fehler.
Danach prüfen Sie drei Ebenen nacheinander:
1. Inhalt und Struktur Sind die Gedanken logisch aufgebaut? Gibt es Sprünge oder Wiederholungen?
2. Stil und Sprache Lesen Sie laut. Klingen die Sätze natürlich? Gibt es Füllwörter oder leere Phrasen?
3. Orthografie und Einheitlichkeit Nutzen Sie ein Korrekturprogramm, und prüfen Sie zusätzlich Begriffe, die Sie häufig verwenden: Ist es »Selfpublisher« oder »Selbstverleger«? »Buchprojekt« oder »Romanvorhaben«? Entscheiden Sie sich für eine Version, und bleiben Sie dabei.
Ein Tipp zum Schluss: Drucken Sie die Kapitel aus. Am Papier entdecken Sie andere Fehler als am Bildschirm.
Wirkung
Der Text ist jetzt klar gegliedert, nutzt typografische Hervorhebungen, adressiert den Leser direkt und gibt konkrete Anleitungen. So wird aus einem vagen Hinweis ein fundierter, nachvollziehbarer Ratschlag.
Warum ein Lektor besser ist als jede KI, gerade für Selfpublisher
Künstliche Intelligenz ist schnell – dafür fehlt es ihr an Tiefe. Ein Lektor dagegen bietet dir:
Kontextverständnis Er kennt deine Zielgruppe, dein Genre, deinen Stil.
Individuelle Beratung Du bekommst Feedback, das auf deinen Text und deine Absicht zugeschnitten ist.
Erfahrung und Urteilskraft Ein Lektor weiß, was funktioniert und was nicht. Und er sagt es dir.
Menschliche Kommunikation Fragen, Zweifel, Varianten … Ein guter Lektor begleitet dich dialogisch. Eine KI ändert nur, und davon hast du nur wenig. Im Gespräch mit deinem Lektor erfährst du mehr, als die KI dir sagen wird. Die KI liefert Ergebnisse – dein Lektor aber liefert dir gute, individuelle Ergebnisse.
Als Selfpublisher bist du dein eigener Verlag. Du entscheidest über Qualität, Wirkung und Professionalität deines Buches. Gerade deshalb brauchst du jemanden, der dich fordert, fördert und auf Augenhöhe begleitet – mit Empathie, Fachwissen und dem klaren Ziel: Dein Buch so gut wie möglich zu machen.
Wie finde ich den richtigen Lektor?
Achte bei der Wahl deines Lektors auf folgende Punkte:
Erfahrung und Referenzen Hat die Person bereits vergleichbare Projekte betreut?
Spezialisierung Kennt sie dein Genre? Deine Zielgruppe?
Transparenz und Kommunikation Wie offen, verbindlich und klar ist der Erstkontakt?
Probelektorat Man sagt, es seien die seriösen unter den Lektoren, die ein kostenloses Probelektorat anbieten. Ich bin da dezidiert anderer Ansicht. Seriosität macht sich nicht daran fest, ob man kostenlos arbeitet; manchmal ist das Honorar gerade ein Kennzeichen von Professionalität, manchmal kostet es eine Gebühr, so wie bei mir. (Ich verrechne die Gebühr mit dem Honorar, wenn ich du dich für mich als Lektor entscheidest.)
Sympathie Passt die Zusammenarbeit auch menschlich? Ruf deinen Lektor an! Achte auf die Töne, auf das, was er wie sagt. Besser noch: auf das, was er wie fragt!
Und vor allem: Verlass dich nicht auf KI-Vorschläge wie »kürze diesen Satz« oder »verwende aktiv statt passiv«. Das sind technische Hinweise, kein Lektorat.
Mehr zum Thema »Qualität eines Lektorats« findest du hier –> Klick!
Fotocredits
Foto von Brett Jordan auf Unsplash. Herzlichen Dank, Brett!