Die zehn Gebote des Self-Publishings

Von den Anfängen

Moses stieg herab vom Berge Sinai, im Gepäck die Tafeln, auf denen die Zehn Gebote eingraviert waren, die seinem Volke Frieden bringen sollten. Da traf er auf einen Hirten.

»Warum so betrübt?«, fragte ihn Moses, denn der Hirte in seinem verfilzten Schaffell und den aufgespleißten Sandalen lief hin und her auf dem steinigen Pfad, offenkundig auf der Suche nach etwas. 

»Mir ist ein Schaf abhanden gekommen«, sagte der Hirte. »Kann ich es nicht finden, dann reißt es der Wolf, und dann reißt mich der Herr und nimmt meine Frau.«

»Das wird«, sprach Moses, »nicht geschehen, mein Freund. Siehe, der Herr ist ein gütiger Herr …«

 »… du musst einen anderen Herrn meinen«, fiel ihm der Hirte ins Wort und schüttelte seinen Stab vor des Moses Gesicht. »Meines Herrn Güte wird sein, mich leben und noch mehr schuften zu lassen.«

»Höre, mein Freund«, antwortete Moses und schielte nach dem anatolischen Hirtenhund, der sich an die Seite des verzweifelten Mannes gesellt hatte, die Lefzen angespannt. »Höre, mein Freund«, wiederholte Moses. »Ich führe mein Volk aus dem Jammertal Ägyptens … nein, sag jetzt nichts …«, denn der Hirte hatte die Augenbrauen erhoben, »… höre, lies und vernimm, was von nun an Gebot sein soll für jeden Menschen auf dieser Welt.«

»Lesen kann ich nicht«, brummte der Hirte. »Aber wenn du’s in knappen Worten zusammenfassen kannst und keine vierzig Jahre dazu brauchst, will ich’s mir anhören. Du hast nicht zufällig ein Stück Schinken dabei?«

Und so kamen die Zehn Gebote ins Marketing und SEO

Und Moses packte aus die Tafeln und seinen Schinken und hub an. Er war ein Meister des Marketings, ein Grandseigneur der Kunst der Motivation, ein Zauberer in der Fähigkeit, Watte über die Lider seiner Zuhörer zu streichen und beruhigende Salbe in die Gehörgänge. Und er erzählte die Zehn Gebote, wie Gott sie ihm zwei Stunden zuvor auf dem Gipfel übermittelt hatte. Mit einer kleinen Variation: »Dem hier«, sagte sich Moses und meinte den Hirten, »dem hier brauche ich nicht kommen mit ›deines Nächsten Weib‹, der hier braucht Handfestes.« Und er gab dem Hirten zehn Maßgaben an die Hand, fünf davon waren »how to find a sheep«, der Rest befasste sich mit der sanften Revolution gegen die Sklaverei.

Und zum ersten mal in ihrer Geschichte, noch ehe Moses diese Sammlung für vernünftiges Verhalten seinem Volk hatte präsentieren können, erfuhren die Zehn Gebote eine taktisch motivierte Verschiebung. Wir dürfen mit Recht vermuten, dass an jenem Tag hoch über der Baumgrenze in der kargen Ödnis des Sinai-Gebirges der Grundstock gelegt wurde für den immensen Erfolg der Formel »die Zehn Gebote«.

Deshalb also hier: die zehn Gebote des Self-Publishings

1. Gebot. Du darfst schreiben.

2. Gebot. Du darfst veröffentlichen.

3. Gebot. Du sollst keinen Anspruch erheben auf Lob, wenn du geschrieben hast.

4. Gebot. Dies aber ist das wichtigste Gebot: Schreibe, als ginge es um dein Leben. Für Erregungen der Seele indes nutze dein Tagebuch.

5. Gebot. Schrei nicht gar so laut, ich bitt’ dich schön.

6. Gebot. Benimm dich! Du bist kein besserer, kein wichtigerer Mensch, nur weil du schreibst; aber du kannst ein Mensch werden, wenn du schreibst.

7. Gebot. Sieh bitte ein: Wenn du keinen ersten Satz schreiben kannst, kannst du nicht schreiben.

8. Gebot. Du brauchst keinen Lektor. Du nicht.

9. Gebot. Wenn du schreiben willst, lerne Lesen.

10. Gebot. Such dir einen vernünftigen Job.

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