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»Ganz ehrlich!« – Wie du Lügen in Dialogen entlarvst und schreibst

Lügen mögen auf den ersten Blick unscheinbar wirken – doch in Wahrheit besitzen sie einen deutlich wahrnehmbaren Sound.

Einleitung: Warum Lügen lesbar sind

Wer die Wahrheit sagt, ist oft klar, ruhig und ökonomisch. Wer dagegen lügt, braucht rhetorische Krücken: Wiederholung, Übertreibung, Appelle an Glaubwürdigkeit. In Romanen kann genau das ein wertvoller Schlüssel sein: Du musst eine Lüge nicht benennen – du kannst sie zeigen.

In diesem Beitrag zeige ich dir, wie du sprachliche Muster des Lügens psychologisch fundiert erkennst – und wie du sie gezielt in Dialogen deiner Figuren einsetzen kannst. Ein Satz wie „Ganz ehrlich!“ wird plötzlich verdächtig – und das ist genau der Effekt, den du erzählerisch brauchst.

Der psychologische Hintergrund: Warum Lügner betonen

Lügner stehen unter Druck. Ihnen fehlt die echte Erinnerung, also müssen sie erfinden, inszenieren, absichern. Die kognitive Psychologie nennt das verbal overcompensation – also die Tendenz, die eigene Aussage übermäßig zu verstärken.

Ein berühmtes Beispiel liefert der Politiker Uwe Barschel, der am 18. September 1987 in einer Pressekonferenz sagte:

„Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort – ich wiederhole: mein Ehrenwort …“

Doch gerade die Wiederholung und der feierliche Tonfall ließen viele damals (und noch mehr heute) daran zweifeln, dass hier Wahrheit gesprochen wurde. Der Verdacht stützt sich also auf das, was Barschel gesagt und wie er gesprochen hat.* 

Die Sprache, das Gesagte, sollte ihn entlasten – stattdessen wurde sie belastend. Und genau dieses Prinzip kannst du für deine Figuren nutzen.

* Es gibt indes zusätzliche Indizien, weiter unten komme ich darauf zu sprechen.

Dramaturgischer Einsatz: Lügen ohne Lüge schreiben

Die hohe Kunst besteht darin, nicht auszusprechen, dass jemand lügt, sondern es im Ton mitschwingen zu lassen und in der skizzierten Körpersprache. Hier spielt die Aufforderung Show! Don’t tell! ihre Stärken aus, genauer: Hier kannst du dich deinen Lesern gegenüber profilieren.

Du erzeugst Spannung, Zweifel und psychologische Tiefe – der Leser merkt intuitiv: Hier stimmt etwas nicht.

Schau dir unter den Aspekten Wiederholung, Betonung, Dramaturgie, Körpersprache folgendes Beispiel an, und schreibe mir, was du davon hältst. Wieder ein Politiker, erneut die wiederholte Betonung von »Ehre«, diesmal unterstützt durch die Dramaturgie einer geradezu spektakulären Kameraführung.

Hier geht es zum Video.

Hat er gelogen oder nicht?

Am 11. Oktober 1987 fegte eine Nachricht durch Deutschland mit Sprengkraft. Zwei Stern-Reporter waren in ein Genfer Hotelzimmer eingedrungen, in der Badewanne entdeckten sie die Leiche des Ministerpräsidenten von Schleswig Holstein, Uwe Barschel. Die immer wieder, auch heute noch, angezweifelte offizielle Version der Todesursache lautete auf Selbstmord.

Was war passiert?

Im September 1987 hieß der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein Uwe Barschel. Es standen Landtagswahlen an, sein Gegenspieler, der SPD-Mann Björn Engholm, rückte Barschel in den Umfragen bedrohlich nahe, vieles deutete auf einen Wechsel hin, Björnholm schien ein ganz anderer Typus Mensch bzw. Politiker zu sein als der alerte, immer etwas glatt und distanziert wirkende Barschel.

In diese nahezu feindselige Atmosphäre hinein behauptete die Zeitschrift Spiegel am Vorabend der Landtagswahlen, Barschel ließe seinen Kontrahenten Engholm ausspitzeln.

Barschel widersprach sofort und dementierte den Vorwurf eine Woche später in der berühmt gewordenen Pressekonferenz.

Hat Barschel damals die Unwahrheit gesagt? Seine Körpersprache stützt den Verdacht: Barschel streift über seinen linken Augenwinkel – wirkt das nicht wie eine Ablenkung, zeigt das nicht seine Anspannung, den emotionalen Stress, unter dem er steht? (»Augenwischerei«)

Schließlich der körpersprachliche Overkill: das Senken der Augenlider. Holt der Politiker in diesem »Augenblick« die ihm zur Verfügung stehenden körpersprachlichen Hilfstruppen herbei? Fälscht er eine Demutsgeste? Können, scheint der Moment zu vermitteln, können solche Augen lügen?

Schaut selbst! Hier geht’s zu Barschels Ehrenwort-Moment während der Pressekonferenz.)

Danke und Credits fürs Titelbild

Das Foto zum Thema Lügen fand ich auf unsplash.com. Ich gestehe: Viel Mühe habe ich mir nicht gegeben bei der Suche nach einem passenden Motiv – Pinocchio liegt einfach auf der Lauer …

Danke an Jamelene Reskp, die das Foto geschossen hat und kostenlos zur Verfügung stellt.

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