Schweinegrippe oder die Diskriminierung durch Adjektive

Süßes Schweinchen klein

„Experten der WHO schliessen nicht aus, dass die in Mexiko und den USA ausgebrochene Schweinegrippe eine Pandemie auslösen könnte.“

So steht’s am 26.4.2009 bei www.swissinfo.ch. Sachlich, neutral, also ohne Wertung. Was macht der Bayerische Rundfunk (BR) daraus?

Ebenfalls am 26. April nennt er in seinen 10-Uhr-Nachrichten die Krankheit die „mexikanische“ Schweinegrippe. Und das ist sie nun wirklich nicht: mexikanisch. Oder, um eine meiner Lieblingsfragen zu variieren:

Wie ist eine Grippe, wenn sie mexikanisch ist?

Syphilis oder: Die Pharisaer der Neuzeit

Es gab mal eine (heute gottlob! und Penicillin sei Dank behandelbare) Geschlechtskrankheit namens Syphilis, auch bekannt unter den Namen Lues oder harter Schanker. Eine heimtückische Sache, diese Syphilis, weil sie spektakulär startet mit Geschwüren an den Geschlechtsorganen – sich aber auch wieder zurückbilden kann und im Verborgenen blüht, bis sie, zum Teil Jahrzehnte nach der Ansteckung, den Erkrankten dement werden oder durch ein geplatztes Aortenaneurysma innerlich verbluten lässt.

Als Heimat der Syphilis standen lange Zeit die Westindischen Inseln in Verdacht – in Europa ausgesetzt durch die Mannschaft des Christoph Columbus. Ein Vorurteil mit Vorteil: Es gab eine Kette von Schuldigen! Die ausgestreckten Finger gingen Richtung Seeleute, die wiederum wiesen alle Schuld von sich und deuteten auf die „Wilden“.

Die Schweinegrippe: Made in worldwide

Es war aber auch ein Vorurteil von kurzem Bestand. Denn nachdem sich die Syphilis in Europas Körpern eingenistet hatte, mussten andere Schuldige her – die Geburtsstunde der geographie-orientierten Namensgebung! Je nachdem, aus welcher Region man die Seuche eingeschleppt wissen wollte, trug sie dann die Herkunftsbezeichnung neapolitanisch, italienisch, französisch, spanisch, kastilisch, englisch, schottisch oder polnisch. (Und natürlich gab es auch eine ‚German disease‘.) Der Verzicht auf die wissenschaftliche Bezeichnung ‚Syphilis‘ tat sein übriges – geboren war die ‚französische Krankheit‘. Oder auch die polnische, kastilische usw.

Wenn also der Redakteur des BR eine ‚mexikanische‘ Schweinegrippe glaubt ausgemacht zu haben, dann bedient er dieselbe Geisteshaltung wie jene Menschen, die die Verantwortung für Syphilis ‚den‘ Franzosen oder für HIV ‚den‘ Schwulen in die Hosen schieben wollen.

Und man sollte sagen: Pfui, schäm’ dich! Denn du hast zweifach gefehlt. Durch, erstens, einen gedankenlosen Gebrauch des Adjektivs ‚mexikanisch‘ und indem du, zweitens, Einwohner eines Landes für etwas schuldig sprichst, für das sie nicht verantwortlich gemacht werden können.

Viel Spaß – und eine gute Zeit!

Und hier geht’s zu Beiträgen meines Blogs, in denen ich Gedanken zum Thema „Adjektiv, Adverb“ verfasse.

Twitter
Facebook
LinkedIn
WhatsApp