Überschätzen sich Autoren?

Ein Freund schreibt mir eine Mail.
„Das Allerschlimmste bei dem Thema aber ist, dass diese Müllbücher täglich 400 bis 500 mal gekauft werden, so lange nur bestimmte Ansprüche an Cover und Titelei erfüllt werden. Ob der SP-Markt also wirklich zu 90 Prozent der Markt für das Minderwertige ist? Es findet ein Paradigmenwechsel statt, der wenig Hoffnung macht.“

Und ich antworte …

„Das betrifft sogar ‚arrivierte‘ Autoren!“ (Guckstu »» Klick!)

Was also sollen wir tun? Was wollen wir tun? Wie kriegen wir die Fähigkeit zur Selbstkritik in die Self-Publisher?

Ich, der Lektor, ich schreibe aus einem Grund keinen Roman: weil ich keine Idee für einen Roman habe, jedenfalls keine, die ich für ausarbeitungswürdig hielte, ohne unmittelbar in Klischees zu gleiten. 

Was das ist, Klischee? Bitteschön: Der Held, männlich/weiblich, besitzt einige Attribute, die als originell verkauft werden. Bei Vollmond, ach!, bei Blutmond, in der Walpurgisnacht gerät er in einen Rausch, in dem ihm ein Auftrag übermittelt wird: Er soll die Welt retten. Das gelingt ihm. Ende der Geschichte.

Frage, lieber Leser, bitte nicht, warum ihm das gelingt, was ihn dazu befähigt oder warum die Welt in Gefahr ist.

Frage auch nicht, was der Sex damit zu tun hat, den er haben will, den er bekommt, nicht bekommt, ausübt. Sex gehört zum Leben und ist deshalb nicht zu hinterfragen. Immer willkommen ist ein hingetupfter Aufenthalt in der Küche (gerne in Kombination mit einer genauen Rezeptur für Spaghetti Carbonara und einer harten Nummer auf dem Küchentisch).

Handelt es sich um einen Aufsatz mit Lokalkolorit, so reicht es, ein paar Straßen zu nennen und den Park mit seinen düster leuchtenden Kandelabern und den Hinterlassenschaften von Hunden auf ihrem Feierabendspaziergang im Nebel. Düsternis des Ereignisses darf nur geschehen in meteorologischem Grau und Dunkel.

Rettung und Überzeugungskraft saugen diese Autoren aus zusammengestöpseltem Wissen über kriminalistische und/oder medizinische Details; sie nennen es Recherche. Ihre Manuskripte bestehen somit aus zwei Teilen: aus Pseudoidee und dem Wissen darüber, welche Verletzung eine Kugel verursacht, nachdem sie mit Arsen getränkt wurde und viereinhalb Jahre später auf dem Grund eines Sees entdeckt wird oder im Waldlaub hervorblitzt.

Zu all dem gesellt sich Unfähigkeit in puncto Malerei und Musik. Diese Schreiber (sie „Autoren“ zu nennen hieße Lüge) können keinen Sound produzieren und keine Metapher, sie wissen nicht einmal, dass es ihnen daran mangelt. Sie haben alles gelesen, was es an Schreibratgebern zu lesen gibt, und sich gegen das Plotten entschieden, weil es sie hemmt.

Würde man einen Vertriebskanal finden, in dem nur Manuskripte veröffentlicht würden mit einer Obergrenze an Wörtern; würde man also sie zu Ökonomie zwingen, zu ökonomischem Schreiben, sie wären verloren ohne Hoffnung auf Rettung, ohne Aussicht auf Besserung – diese Schreiber wären dort nicht vertreten. Die anderen aber, die dort vertreiben dürften, sie wären, was wir Goldstandard nennen.

Lass uns kämpfen für kdpg: für kindle direct publishing gold!“

Stellt sich die Frage

Das mag klingen, als habe ich etwas gegen Self-Publisher. Wer diese Zeilen oben so liest, irrt. Natürlich mag ich sie! Jede Hoffnung, schreibend leben zu können, will ich unterstützen und fördern. Ich will mitfiebern und den Weg mit Blumen kränzen, auf dem der Autor zu schreiten beginnt (oder schreitet, falls es bereits sein zweites Buch ist oder sein, du weißt schon).

Aber ich sag’s auch jedem, der’s noch nicht kann: „Du musst noch viel üben.“ Dann sagt der Autor (wenn er denn etwas sagt und nicht einfach nur den Kontakt abbricht): „Ja, aber!“ Und ich antworte: „Eben!“

Jeder darf, jeder soll, jeder muss einfach schreiben. Eine der großartigsten Möglichkeiten für uns Menschen, auszudrücken, was uns bewegt, kann und darf nicht reglementiert werden. Wenn ein Kind singt, wirst du es hoffentlich niemals unterbrechen, weil es die Töne nicht trifft! Wenn ein Erwachsener schreibt, sieht das ein kleines bisschen anders aus.

Wenn ein Erwachsener schreibt und mich fragt: „Was hältst du davon?“, dann will ich ihn zugleich ermuntern und ihm sagen, wo er steht. Und wenn mir gefällt, was ich lese, sage ich ihm das. Und wenn mir nicht gefällt, was ich lese, sage ich ihm, warum das so ist. Niemals nicht sage ich „Gefällt mir nicht“, ohne zu begründen, warum es nicht gefällt.

Ein paar Silben über die „Erfahrung“

Ich arbeite wohlwollend. Täte ich es nicht, würde ich mich schon längst nicht mehr mögen. Ich würde meine Arbeit mit Zynismen spicken und Überheblichkeit.

Mir sind nur wenige Menschen in den Weg gelaufen, die fähig waren (oder willens) zu einer Kritik meiner Texte, die weiterhalf; die meisten, die über meine Texte urteilen mussten, Redakteure, Etat-Manager, BWL-Studenten, handelten destruktiv. Aber auch daraus zog ich Lehren.

Du kommst zu mir und willst wissen, was ich von dem halte, was du schreibst; ich antworte dir mit Worten, die meiner Auffassung von Wahrheit am nächsten kommen, wohlwollend und wohl wissend, dass das nicht immer das ist, was du hören möchtest.

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