Unschärfe – nicht nur in der Fotografie ein Mittel zur Verschleierung

Auf falsche Fährte gelockt

Auch ein falsch gesetzter Apostroph kann ins Grübeln versetzen.

„Nein!“, ruft Suppenkaspar. Und damit auch ja kein Zweifel aufkommt am Nein, bekräftigt er: „Meine Suppe ess ich nicht!“ Sofort hat er sich all unsere Sympathien verscherzt: Leser mögen keinen, der sich verweigert – Leser wollen erfahren, was ist! „Am Anfang war die Tat“ ist leichter zu verstehen als „Am Anfang wog Gott ab, ob er nicht vielleicht erst das Licht schaffen solle“. Deshalb verkaufen Sebastian Fitzek, Stieg Larsson und Patricia Cornwell mehr Bücher als Martin Walser, Elfiede Jelinek, Werner Schneyder: Die Krimi- und Thrillerautoren packen ihre Leser mit dem Ja! der Tat. Wer seine Leser packen will, muss agieren, etwas, was bei Sachtexten schwierig sein mag. Schwierig, aber nicht unmöglich!

Von der Schwierigkeit, ein Nein zu verstehen
In einem Text auf suite101.de, dem nicht mehr existenten Autorenportal, fand sich folgende Passage:

„Hier muss man etwas aufpassen, denn in jeden Zug darf man mit seinem günstigen Ticket nicht einsteigen.“

Eigentlich eine schön kurze und überschaubare Aussage, etwas aber stört: Das Wörtchen nicht hat mich aufgeschreckt.

In jeden Zug darf man… Klar, denkt sich der Leser, denke auch ich mir, jetzt erfahre ich, was ich darf, und werde in meiner Vermutung bestärkt: Ich darf mit meinem günstigen Ticket. Herrlich! Ich besitze ein günstiges Ticket, und mit dem darf ich …?

Pustekuchen! Ich halte ein günstiges Ticket in der Hand (wie schön!) und darf damit in jeden Zug (wunderbar!) – nicht einsteigen (so ein Mist!)!

Zusammenfassung
Eine verneinende Aussage ist schwer zu verstehen, hat die Zeitschrift „Psychology today“ ermittelt (zitiert nach Wolf Schneider, Deutsch für Kenner, S. 144). Der Durchschnittsmensch braucht 48% mehr Zeit fürs Verstehen als bei einem bejahenden Satz. Wir schätzen es, wenn wir erfahren, was ist. Wie hätte man es besser, sprich: weniger verwirrend formulieren können?

Mehrere Möglichkeiten! Die einfachste wäre die Änderung der Reihenfolge, damit ich in die richtige Erwartung versetzt werde: Nicht in jeden Zug darf man mit seinem günstigen Ticket einsteigen. Zweite Möglichkeit: Aufgepasst! Das Ticket gilt nicht in jedem Zug! Acht statt der ursprünglichen 17 Wörter – um mehr als die Hälfte kürzer! Zeit gespart und Verständnis erhöht. Wenn das kein Gewinn ist!

PS: Nicht wenig Spaß – und keine unschöne Zeit!

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