Lebensrecht eines Kommas

Es geht um den folgenden Ausschnitt eines Artikels auf Zeit online und darum, wie ein fehlendes Komma den Sinn verzerrt. Hier der Ausschnitt:

„… MDMA und Liquid Ecstasy haben Einfluss auf die Libido, außerdem fallen die Hemmungen und das Selbstbewusstsein …“

Komma fehlt – Verwirrung tritt ein

Warum, frage ich mich, sinkt das Selbstbewusstsein, wenn Hemmungen fallen? Würde man nicht das Gegenteil vermuten: dass, wenn Drogen enthemmter machen, im selben Zuge das Selbstbewusstsein steigt statt zu fallen?

Selber schuld. Warum ich das Komma so vermisse

Der Verständnisfehler liegt bei mir. Ich setze noch nach alter Väter Sitte die Kommata – und erwarte deshalb beim Lesen auch die vor der orthographischen Libertinage empfohlenen Versionen.

Einst lautete die Vorschrift*: „Zwei mit und verbundene Hauptsätze werden durch Komma getrennt.“ Die Rechtschreibreform stellt das heutzutage frei, und prompt erschwert sie das Verstehen. Sie verzögert das Verstehen, senkt die Eindeutigkeit, mindert die Lesehilfe, bremst das Lesetempo.

Der Satz lautet vollständig:

„Kein Wunder, denn Alkohol und Substanzen wie MDMA und Liquid Ecstasy haben Einfluss auf die Libido, außerdem fallen die Hemmungen und das Selbstbewusstsein steigt.

Der Einwand mag lauten, dass der Satz kurz, also übersichtlich genug sei, damit der Sinn prima vista verstanden werden könne. Dem halte ich entgegen: Mich hat selbst dieser kurze Abschnitt verwirrt. Das fehlende Komma nach Hemmungen bzw. vor und hat mich konditioniert. Es hat mir eingeredet: »Es folgt eine Aufzählung.«

Für mich, für mein Leseverständnis wäre das Komma das eindeutige Signal gewesen, dass eine neue und dem ersten Teil eventuell entgegenstehende Aussage folgt.

Plädoyer fürs Komma vor „und“

Lasst euch nicht von der Rechtschreibkommission vorschreiben, was gut genug sei – denkt mit beim Schreiben, ihr Journalisten und Autoren! Kürzeste Sätze mag man ja noch fassen können, spätestens dann aber, wenn der Anschluss nach und länger wird, ist dein Leser verloren bis zu dem Moment, wenn die Auflösung erfolgt – wenn endgültig klar ist, ob Aufzählung oder Hauptsatz aufs und folgten.

* Vorschrift ist nicht ganz korrekt – der Duden schreibt ja nicht vor, er empfiehlt. Nur für Behörden, Schulen und Universitäten sind sie verbindlich, die Rechtschreibregeln. Wir anderen, wir Texter, Autoren, Journalisten und Lektoren, tun gut daran, sie zu beherzigen, damit wir verstanden werden. Und wir tun gut daran, wenn wir nicht alles widerspruchslos hinnehmen.

Ich bin fürs Komma! Mein Rat lautet: Wenn zwei Hauptsätze mit und verbunden werden, setzt ein Komma vors und. Unbedingt!

Credits

Für die Verwendung des Fotos bedanke ich mich bei  Reproductive Health Supplies Coalition auf Unsplash.

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